S. E. Kardinal Meisner hat in seiner Stellungnahme vom 31.1.2013 wohlgemerkt nicht auf die tatsächliche, sondern auf die beabsichtigte Wirkung des eingesetzten Hormonpräparates abgehoben. Damit hat er auf eine ethische Beurteilung der „Pille-danach“ als solche, wie bisher üblich, verzichtet. Vorausgegangen war nach seinen Worten eine Beratung durch „Fachleute“.
Dabei wurde deutlich, dass darunter unterschiedliche Präparate mit unterschiedlichen Wirkprinzipien zu verstehen sind, deren Wirkungen und Nebenwirkungen sich in der wissenschaftlichen Diskussion immer weiter klären. Daraus ergeben sich ethische Konsequenzen. Kardinal Meisner
Die beiden im Handel befindlichen Präparate sind das ältere Levonorgestrel und das seit 2009 zugelassene Ulipristal. Der Ausdrucksweise „deren Wirkungen und Nebenwirkungen sich … immer weiter klären“ von Kardinal Meisner entnehme ich, dass die „Fachleute“ ihm vermittelt haben, dass es einen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn gebe, der eine Neubewertung der beiden Präparate erforderlich mache. Einen Eindruck von dieser Art Expertise bekommt man durch die Aussage des Vorsitzenden des Bundesverbandes der Frauenärzte, Dr. Christian Albring. In der Sendung „Günther Jauch“ vom 3.2.2013 mit dem vorverurteilenden Titel In Gottes Namen – wie gnadenlos ist der Konzern Kirche?, ab Minute 9:54, heißt es zunächst in einem redaktionellen Beitrag
Die Pille-danach. Sie soll eine Schwangerschaft verhindern. Viele glauben daher, dass die Pille-danach in der Lage ist, eine bereits befruchtete Eizelle zu zerstören. Das käme für die katholische Kirche einer Abtreibung gleich. Aktuelle Forschungen nach Einführung eines neuen Präparates belegen aber, ist die Eizelle schon befruchtet, wirkt die Pille-danach offenbar nicht mehr. Abtreibung ausgeschlossen.
Soweit der Sprecher des redaktionellen Beitrags. Es folgt ab 9:20 eine Interviewaussage von Dr. Albring
Erst durch die neue Pille danach kam es zu erweiterten Studien und die haben eindeutig den Wirkmechanismus dargestellt und so wissen wir heute mit Sicherheit, dass es nicht zu einer Abtreibung kommt, sondern nur zu einer Verschiebung des Eisprunges.
Dazu ist zu sagen, dass im gynäkologischen Sprachgebrauch erst ab der Einnistung von einer Schwangerschaft und damit auch von einer Abtreibung die Rede ist. Weiter im redaktionellen Beitrag:
Für den Kölner Kardinal Meisner ist die Pille danach plötzlich kein Tabu mehr, zumindest im Falle von Vergewaltigungen…
Und so tönt es weiter durch die Medien „Kardinal Meisner erlaubt nun doch die Pille danach“. Nicht nur das. Ohne eine Stellungnahme der Weltkirche abzuwarten wird die Äußerung stehenden Fußes in ethische Richtlinien für katholische Krankenhäuser umgesetzt: Vergewaltigte Frauen können künftig in katholischen Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen eine ‚Pille danach‘ erhalten, schreibt die WAZ.
Doch zunächst zu den von Kardinal Meisner mutmaßlich berücksichtigten Experten. Der Berufsverband der Frauenärzte gab bereits am 24.1.2013 gemeinsam mit der der Deutschen Gesellschaft für gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin (DGGEF) e.V. diese Pressemeldung heraus. Bereits wenige Tage später erschien auf der gleichen Webseite Notfallkontrazeption – ein Update, eine Gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin (DGGEF) e.V. und des Berufsverbands der Frauenärzte (BVF) e.V. – Update vom 4.2.2013. Der entscheidende Satz in dieser Stellungnahme:
Sowohl Levonorgestrel 1.5 mg als auch Ulipristalacetat 30 mg wirken in den verwendeten Dosen und bei einmaliger Gabe nicht implantationshemmend (Gemzell-Danielsson et al. 2012)8 und auch nicht abortiv.
Das klingt definitiv. Verfolgt man den Hinweis auf die Fußnote, so erhält man endlich die Quelle der immer wieder zitierten neuen wissenschaftlichen Erkenntnislage:
Gemzell-Danielsson K, Berger C, P G L L. Emergency contraception – mechanisms of action. Contraception. 2012 Oct 29. pii: S0010-7824(12)00750-0. doi: 10.1016/j.contraception.2012.08.021. [Epub ahead of print]
Das Abstract dieser erst im kommenden März im Druck erscheinenden Arbeit, welche am 29.10.2012 bereits vorab elektronisch publiziert wurde, ist hier einsehbar. Im ersten Satz des Abstract ist die Absicht der Veröffentlichung ausgesagt:
Concerns regarding the mechanisms of action of emergency contraception (EC) create major barriers to widespread use …,
übersetzt: Bedenken betreffend die Wirkungsmechanismen von Notfallkontrazeption schaffen größere Hindernisse gegen umfassenden Gebrauch … .
Entsprechend der definitiven Aussage des Bundesverbandes der Frauenärzte und nach diesem einleitenden Satz des Abstract erwartet man auch im Folgenden eine ähnlich definitive Aussage zum Ausschluss einer nidationshemmenden Wirkung. Doch es folgt nur im letzten Satz:
An additional effect on the endometrium as occurs for the Cu-IUD, but not for the hormonal alternatives, seems to increase the efficacy of the method.
d.h. Ein zusätzlicher Effekt auf das Endometrium [das heißt: eine nidationshemmende Wirkung, Anm. d. Verf.], wie er bei der Kupfer-Spirale auftritt, aber nicht für die hormonellen Alternativen, scheint die Wirksamkeit der Methode [der Pille-danach, Anm. d. Verf.] zu erhöhen.
Enttäuschend! Hier wird nicht (!) eine Nidationshemmung definitiv ausgeschlossen, sondern es wird im Gegenteil davon ausgegangen, dass eine – einnistungshemmende – Wirkung auf das Endometrium, wie sie für die Spirale nachgewiesen ist, für einen Teil der Wirksamkeit der Pille-danach verantwortlich ist. Da ich nicht annehme, dass die revolutionären Erkenntnisse nur im Volltext wiedergegeben, im Abstract aber verschwiegen werden, insbesondere angesichts der offensichtlichen Absicht der Verfasserinnen, die Verbreitung der Notfallkontrazeption zu verbessern, habe ich es mir erspart, den Volltext für $31,50 zu erwerben.
Es gibt nämlich noch ein weiteres Problem für die Übertragung der Erkenntnisse der hier referierten statistischen Wirkungen auf ethische Fragestellungen: Für den Wissenschaftler stellt sich die Frage nach einer signifikanten Nidationshemmung, das heißt, einer sich in der Masse der Anwendungsfälle statistisch bemerkbar machenden. Für den Ethiker ist aber nicht entscheidend, ob bei einer Anwendung der Pille danach nach dem Eisprung es zu 10 oder 100 oder 300 Nidationshemmungen kommt, sondern ob es zu einer einzigen kommt. In einer ethischen Frage, bei der es um Leben oder Tod geht, kann nämlich ein einziger jemals aufgetretener Fall einer Nidationshemmung die Erlaubtheit zunichte machen.
Kardinal Meisner scheint die Fragwürdigkeit der unmittelbaren Umsetzung dieser Studie in ethische Richtlinien bewusst gewesen sein, wenn er schreibt:
Dabei gehört es zur Eigenart solcher Erkenntnisse, dass sie nicht selten kontrovers sind. Die Kirche kann dazu nur die moralischen Prinzipien erklären.
Damit hätte dann eigentlich alles beim Alten bleiben können. Doch Kardinal Meisner bringt zwei neue Aspekte in die ethische Beurteilung der Notfallkontrazeption ein.
1. Er hält nicht für entscheidend, ob die Nidationshemmung bei einem Präparat ausgeschlossen werden kann, sondern welches das zentrale Wirkprinzip ist. Zunächst stellt er in seiner ethischen Diskussion zwei hypothetische Präparate einander gegenüber, deren eines ein empfängnisverhütendes, das andere eine nidationshemmendes Wirkprinzip besitzt. Erstes sei für eine vergewaltigte Frau erlaubt, das zweite wegen seiner tötenden Wirkung nicht. Diese kategorische Aussage ist einleuchtend und unmittelbar nachvollziehbar unter der Voraussetzung, dass hier jeweils ein ausschließliches Wirkprinzip gemeint ist. Weiter unten fügt er aber dem Nomen Wirkprinzip das Adjektiv zentral hinzu. Er macht also deutlich, dass es beim gegenwärtigen Stand der Wissenschaft doch nicht um verschiedene Präparate mit grundsätzlich verschiedenen einander ausschließenden Wirkprinzipien geht, sondern um Präparate, bei denen es bestenfalls ein zentrales empfängnisverhütendes Wirkprinzip gibt, und deren nidationshemmende Eigenschaft letztlich nicht ausgeschlossen werden kann. Kardinal Meisner schreibt:
Bei der Entscheidung muss der Arzt aus eigener wissenschaftlicher Einschätzung abwägen, inwieweit bei einem Präparat eine nidationshemmende Wirkung besteht. Andererseits haben bekanntlich sehr viele Präparate und Verhaltensweisen Nebenwirkungen, die das beginnende menschliche Leben schädigen oder im Extremfall sogar töten können. Solche Effekte sollten selbstverständlich minimiert werden. Ganz ausschließen kann man sie nie. Nach der Lehre Papst Pius XII. sind zum Beispiel Schmerzmittel bei einem Sterbenskranken dann erlaubt, wenn sie zwar mit der Absicht der Schmerzlinderung eingesetzt werden, aber als Nebeneffekt gegebenenfalls eine Verkürzung des Lebens zur Folge haben können.
Es fällt mir schwer schwer, dieser Argumentation zu folgen. Ist der Fall einer Anwendung potentiell lebensverkürzender Medikamente bei einem Sterbenden übertragbar?
2. Wie im vorausgegangenen Zitat deutlich wurde, ist für Kardinal Meisner in der Situation der unsicheren wissenschaftlichen Erkenntnislage letzlich nicht das Wirkprinzip an sich entscheidend, sondern die Absicht, in der das Präparat verordnet oder eingenommen wurde.
Der Vollständigkeit halber zitiere ich hier den Abschnitt aus Dignitas personae, auf welchen auch Kardinal Meisner Bezug genommen hat:
Neue Formen der Interzeption und der Kontragestion
23. Neben den empfängnisverhütenden Mitteln im eigentlichen Sinn, welche die Empfängnis im Anschluss an einen Geschlechtsakt verhindern, gibt es andere technische Mittel, die nach einer Befruchtung vor oder nach der Einnistung des schon gebildeten Embryos in der Gebärmutter wirken. Diese Techniken sind interzeptiv, wenn sie die Einnistung des Embryos in der Gebärmutter verhindern. Sie sind kontragestiv, wenn sie die Vernichtung des schon eingenisteten Embryos zur Folge haben.
Um die Verbreitung der Interzeptiva zu fördern,[43] wird manchmal behauptet, dass ihre Wirkweise nicht genügend bekannt sei. Wahr ist, dass die Wirkweise der verschiedenen angewandten Mittel nicht immer zur Gänze bekannt ist. Experimentelle Studien zeigen aber, dass die nidationshemmende Wirkung gewiss vorhanden ist. Dies bedeutet freilich nicht, dass die Interzeptiva immer, wenn sie eingenommen werden, eine Abtreibung bewirken, auch weil es nicht nach jedem Geschlechtsverkehr zu einer Befruchtung kommt. Man muss jedoch anmerken, dass bei denen, welche die Einnistung eines möglicherweise empfangenen Embryos verhindern wollen und deshalb solche Mittel wünschen oder verschreiben, im Allgemeinen die Vorsätzlichkeit zur Abtreibung vorhanden ist.
Wenn das Ausbleiben der Menstruation festgestellt wird, greift man gelegentlich auf die Kontragestion zurück,[44] die gewöhnlich in der ersten oder zweiten Woche nach Feststellung des Ausbleibens der Menstruation angewandt wird. Das erklärte Ziel besteht darin, die Menstruation wieder erscheinen zu lassen, aber in Wirklichkeit handelt es sich um die Abtreibung eines bereits eingenisteten Embryos.
Bekanntlich ist die Abtreibung «die beabsichtigte und direkte Tötung eines menschlichen Geschöpfes in dem zwischen Empfängnis und Geburt liegenden Anfangsstadium seiner Existenz».[45] Deshalb zählt die Anwendung der interzeptiven und der kontragestiven Mittel zur Sünde der Abtreibung und ist in schwerwiegender Weise unsittlich.
Auch Dignitas personae hebt bei der Definition der Abtreibung auf die Absicht der Tötung ab.
Abschließend möchte ich nochmals einen Satz von Kardinal Meisner aufgreifen: … die das beginnende menschliche Leben schädigen oder im Extremfall sogar töten können. Solche Effekte sollten selbstverständlich minimiert werden.
Es bleibt dem katholischen Naturwissenschaftler aufgetragen, Methoden zur Bestimmung jenes Zeitpunktes im Zyklus zu entwickeln, ab dem das eingesetzte Präparat den Eisprung nicht mehr verhindern und damit zur Gefahr für den möglicherweise neu entstandenen Menschen werden kann.
Die Freigabe der nordrheinwestfälischen Bistümer der Pille-danach erfolgte rechtzeitig, bevor die bereits angedrohten entsprechenden Zwangsmaßnahmen der NRW-Gesundheitsministerin umgesetzt wurden.
Die Ärzte an katholischen Krankenhäusern werden in Zukunft dem Wunsch nach Verschreibung der Pille-danach mit einer Befragung entgegnen müssen, inwiefern bei dem erfolgten ungeschützten Geschlechtsverkehr Gewalt im Spiel war, und sich damit der Beschuldigung aussetzen, die Patientin einem entwürdigenden Verhör zu unterziehen. Es wird nicht einfacher.
Ein Gedanke zu „„… mit der Absicht, … die Einnistung … zu verhindern, …““