Man darf genervt sein

Elsa war genervt über den Artikel von Arnd Brummer. Ich war nicht genervt, obwohl ich ebenso papistisch eingestellt bin. Mit Arnd Brummer habe ich tatsächlich einiges gemeinsam. Er scheint ungefähr so alt wie ich zu sein. Er ist katholisch getauft. Er begeisterte sich in seinem zweiten Lebensjahrzehnt für protestantisches Gedankengut und hatte Sympathie mit Außenseitergestalten, die für ihre Überzeugung bitter dafür büßen mussten. Das war’s dann mit den Gemeinsamkeiten.

Ich erfuhr in meiner Jugend im lutherisch-pietistischen Umfeld die Grundlegung einer persönlichen christlichen Überzeugung, wofür ich unverändert dankbar bin, um mich in den Folgejahren mühsam, aber fruchtbar zunächst mit der Vielfalt der Konfessionen, schließlich aber mit der Lehre der Kirche auseinanderzusetzen und diese anzunehmen.

Von Arnd Brummer erfahren wir über seine nächsten 30 Jahre, dass er sich von den gewähnten, weil nicht ausgesprochenen, Empfindungen seiner Weggefährten gebunden fühlte. Da waren also „Freunde”, durch die er eine Verurteilung zum „Charakterschwein” fürchtete. Diese sollen der Grund gewesen sein, dass er zunächst formell katholisch blieb. Erst als Kardinal Ratzinger 2005 den Begriff der „Diktatur des Relativismus” prägte, wurde sein Zorn übergroß, so dass er sich dem „Evangelischen in mir“ zuwandte. Die für mich alles entscheidende Frage an diesem Wendepunkt seines Lebens, nämlich warum die Entscheidung zwischen der Nachfolge des Zeitgeistes und die Nachfolge Jesu Christi eine Scheindialektik des Kardinals sei, und ob ihn irgendeine Form von Wahrheitssuche angetrieben habe, bleibt unbeantwortet. Christsein ist für ihn – der im Artikel dargestellten Ikone Dorothee Sölle folgend – auf ein soziales innerweltliches Geschehen reduziert, beim aufkommenden Sturm bleibt der Gemeinde der Gläubigen nichts Anderes mehr übrig, als auf die eigene Kraft zu vertrauen. Der Rest des Artikels bleibt bestimmt von der Hervorhebung der bei den Protestanten erlebten Wohlgefühle. Die Kenntnis des Katholischen scheint über den offenbar ererbten Protestkatholizismus nie hinausgekommen zu sein. Seiner euphorischen Beschreibung von zukunftsfähigem Protestantismus und von absterbendem Katholizismus und dem in Unkenntnis Martin Luther zugeschriebenen Spruch von der „ecclesia semper reformanda“ lässt sich am besten mit immer noch aktueller nüchterner protestantischer Selbsteinschätzung begegnen.

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