Schwerer Eingriff in Religionsausübung: Landgericht Köln verbietet Beschneidung

UPDATE 17.30 und 20.10 Uhr

Laut einer Meldung der Financial Times Deutschland hat das Landgericht Köln entschieden, die Beschneidung der männlichen Vorhaut bei Minderjährigen aus anderen als medizinischen Gründen als Körperverletzung zu werten. In dem Artikel heißt es unter anderem:

Vor allem muslimische und jüdische Organisationen weisen die Forderungen nach einer Strafbarkeit der Beschneidung bislang entschieden zurück. Sie werten ein Verbot als „schweren Eingriff in das Recht auf freie Religionsausübung“. Zum Kölner Urteil wollten sie sich am Montag auf Anfrage zunächst nicht äußern. Man wolle zunächst die Urteilsbegründung prüfen, hieß es.

Immerhin stellt nach Gen 17,10-14 die Beschneidung im Judentum und Islam den Initiationsritus für männliche Personen dar, wird somit als Zeichen der Religionszugehörigkeit gewertet und ist damit wesentlicher Bestandteil der Religionsausübung. Die Wikipedia gibt zur Brit Mila (jüdische Bezeichnung für die Beschneidung der Neugeborenen) an:

In der jüdischen Geschichte war die Brit Mila einer der jüdischen Bräuche, die am stärksten verfolgt wurden.

Insofern handelt es sich bei einem Verbot der Beschneidung durch ein deutsches Gericht um eine recht heikle Angelegenheit. Im Wikipedia-Hauptartikel Brit Mila finden sich Literaturangaben zur Diskussion des Problems unter Rechtswissenschaftlern aus den letzten Jahren, welchen ich jetzt nicht weiter nachgegangen bin.

Bevor aber jetzt deutsche Gerichte beginnen, jüdische und muslimische Mitbürger in der Ausübung ihrer Religion zu kriminalisieren und die Beschneidung in die nebenwirkungsreichere Situation der Hinterzimmer zu drängen, schlage ich die Anwendung jenes  juristischen Kunstgriffes vor, der in Deutschland eingesetzt wurde, um einen Kompromiss zwischen dem Menschenrecht auf Leben und einem angeblich konkurrierenden Recht zu erzielen: Illegal, aber straffrei. Denn: wenn schon das Recht auf Leben verhandelbar ist, wieviel mehr das Recht auf körperliche Unversehrtheit.

UPDATE

Begründungen der Urteilssprüche des Amtsgerichts und des Landgerichts Köln findet man hier. Ich zitiere nach den Ausführungen auf kostenlose-urteile.de.

Demnach hieß es in der Begründung des Amtsgerichts für den Freispruch des ausführenden Arztes zunächst noch, die Entscheidung habe sich an dem Wohl des Kindes ausgerichtet, da die Zirkumzision als traditionelle Handlungsweise der Dokumentation der kulturellen und religiösen Zugehörigkeit diene, womit auch einer Stigmatisierung des Kindes entgegengewirkt werde.

Dagegen argumentierte das Landgericht, dieser Eingriff sei insbesondere nicht durch die Einwilligung der Eltern gerechtfertigt, weil sie nicht dem Wohl des Kindes entspreche. Denn im Rahmen einer vorzunehmenden Abwägung überwiege das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit vorliegend die Grundrechte der Eltern. Ihre Religionsfreiheit und ihr Erziehungsrecht würden nicht unzumutbar beeinträchtigt, wenn sie gehalten seien abzuwarten, ob sich das Kind später selbst für eine Beschneidung entscheidet.

Interessant, dass das Amtsgericht dem Anspruch auf körperliche Unversehrtheit noch den Anspruch des Kindes gegenüberstellte, ohne Stigmatisierung in einem kuturellen und religiösen Raum der Zugehörigkeit aufzuwachsen, während das Landgericht diesen Anspruch des Kindes nicht mehr erwähnt, sondern nur den Anspruch der Eltern auf Religionsfreiheit und Erziehung. Was ist mit dem Anspruch des Kindes auf Religionszugehörigkeit schon während seines Aufwachsens?

UPDATE 20.10

Presseerklärung des Zentralrats der Juden hier. Zitat:

Der Zentralrat der Juden in Deutschland sieht im Urteil des Landgerichts Köln, das die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen als Körperverletzung bewertet hat, einen beispiellosen und dramatischen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften. …

LITURGISCHE ANMERKUNG: Bis zur Liturgiereform wurde in der katholischen Kirche jeweils am 1. Januar, dem Oktavtag von Weihnachten, gemäß Lk 2,21 das Fest der Beschneidung des Herrn gefeiert, so auch heutzutage wieder in der außerordentlichen Form. Im Rahmen der Liturgiereform wurde das Fest abgeschafft und das Hochfest der Gottesmutter sowie das Fest Namensgebung des HErrn auf den 1. Januar verlegt.

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