Der Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, S. E. Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, sagt zum 50. Jahrestag der Konzilskonstitution über die Heilige Liturgie, Sacrosanctum Concilium, die Glaubenskrise habe schon lange vor dem Konzil eingesetzt. Er will damit belegen, dass die Glaubenskrise (in den westeuropäischen Ländern) keine Folge der auf das II. Vatikanische Konzil folgenden Liturgiereform ist. Wenn es aber so war, stellt sich die Frage, ob dann nicht auch eine Umkehrung der Ursachenkette anzunehmen ist.
Also nicht Glaubenskrise durch Liturgiereform, sondern (misslungene) Liturgiereform durch Glaubenskrise. Wenn aber die Glaubenskrise schon da war, war es dann richtig, dem schon glaubensschwachen Volk (und Klerus) eine Liturgiereform vorzusetzen, die es dann nur missverstehen konnte?
…denn ehe die Menschen zur Liturgie hintreten können, müssen sie zu Glauben und Bekehrung gerufen werden: „Wie sollen sie den anrufen, an den sie nicht glauben?…“ Sacrosanctum Concilium (SC) 9
Glaube und Liturgie der Kirche sind eng miteinander verbunden. Katholischer Glaube ist nicht mehr oder weniger übereinstimmendes Glauben vieler Subjekte, sondern vielmehr ist es so:
Der Glaube der Kirche geht dem Glauben des einzelnen voraus, der aufgefordert wird, ihm zuzustimmen. Wenn die Kirche die Sakramente feiert, bekennt sie den von den Aposteln empfangenen Glauben. Deshalb gilt das alte Prinzip: „lex orandi, lex credendi“ (oder, wie Prosper von Aquitanien im 5. Jahrhundert sagt: „legem credendi lex statuat supplicandi“)[ Das Gesetz des Betens soll das Gesetz des Glaubens bestimmen“: auct. ep. 8]. Das Gesetz des Betens ist das Gesetz des Glaubens; die Kirche glaubt so, wie sie betet. Die Liturgie ist ein grundlegendes Element der heiligen, lebendigen Überlieferung [Vgl. DV 8]. Katechismus der katholischen Kirche (KKK) 1124
Der Glaube des katholischen Christen ist insofern ein objektiver Glaube. Gleiches gilt für die Heilige Liturgie. Wie könnte sie sonst heilig genannt werden? Objektive Liturgie steht für ein Glauben und Handeln, welches jedweder Willkür und Selbstverherrlichung entzogen ist, im Sinne dessen, der gesagt hat
Joh 6,38 … denn ich bin nicht vom Himmel herabgekommen, um meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.
Deshalb fährt der Katechismus unmittelbar fort:
Darum darf kein sakramentaler Ritus nach dem Belieben des Amtsträgers oder der Gemeinde abgeändert oder manipuliert werden. Selbst die höchste Autorität in der Kirche kann die Liturgie nicht nach Belieben ändern, sondern nur im Glaubensgehorsam und in Ehrfurcht vor dem Mysterium der Liturgie. KKK 1125
Im gleichen Sinne lehrt das II. Vat. Konzil in SC:
Deshalb darf durchaus niemand sonst, auch wenn er Priester wäre, nach eigenem Gutdünken in der Liturgie etwas hinzufügen, wegnehmen oder ändern. SC 22
Neben die Pflicht – um das Beispiel aus dem Sport zu gebrauchen – tritt die Kür:
Darum sollen die Seelsorger bei liturgischen Handlungen darüber wachen, daß nicht bloß die Gesetze des gültigen und erlaubten Vollzugs beachtet werden, sondern auch daß die Gläubigen bewußt, tätig und mit geistlichem Gewinn daran teilnehmen. SC 11
Warum ist die Liturgie wichtig?
… ist die Liturgie der Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt. SC 10
Wenn aber Liturgie und Glaube so eng verbunden sind, wenn die Liturgie Höhepunkt und Quelle ist, ist zu fragen, ob (absichtliche!) liturgische Regelverstöße nicht auch Ausdruck und Quelle eines nicht-katholischen Glaubens sind. Den vier verbreitetsten liturgischen Mängeln lassen sich ohne Weiteres schwerwiegende Glaubensmängel zuordnen, hier geordnet nach Häufigkeit:
- Verzicht auf die Kommunionpatene (Redemptionis sacramentum [RS] 93, Missale Romanum, Institutio Generalis [MR] 118) <-> Geringschätzung der Realpräsenz Christi
- Gleichzeitige Kommunion des Zelebranten mit Nicht-Priestern (SC 55, RS 97, MR, Nrn. 158-160; 182; 243-244; 246) <-> Gemeinmachung/Geringschätzung des Weihepriestertums
- Weglassen von Lesungen oder Psalmen <-> Geringschätzung des Wortes Gottes (SC 51, RS 61f., MR Nrn. 356-362)
- Eliminierung oder Abänderung des Ausdrucks „…deinen Sohn, unsern Herrn und Gott…“ in der Schlussformel des Tagesgebets <-> Leugnung der Gottheit Christi (RS 59)
Dass die liturgischen Mängel mit dem geschilderten Anschein des Glaubensverfalls bis hinein in den hohen Klerus reichen, konnte ich letztens bei einer vom Generalvikar in der Vertretung des Bischofs gefeierten Firmung erleben. Alle 4 liturgischen Defizite waren vorhanden. Zusätzlich war das Altarkreuz durch eine esoterisch anmutende Wasserschale mit Schwimmkerzen ersetzt.
UPDATE: zum Thema siehe auch bei Braut des Lammes