Keimbahneingriffe sind Manipulationen am Erbgut von Embryonen, welche auch an deren Nachkommen weitervererbt werden. Solche künstlichen Erbgutveränderungen werden also weiterverbreitet und bleiben möglicherweise dauerhaft im Erbgut der Menschheit erhalten. Da in den letzten Monaten „rasante“ Fortschritte in der entsprechenden genetischen Technik gemacht wurden, drängt der Deutsche Ethikrat nun auf eine rasche globale Regulierung durch ethische Richtlinien Diskussion ethischer Implikationen.
Zitate aus der Aussendung des Ethikrates:
über das grundsätzliche Problem:
Entwicklungen der jüngsten Zeit verdeutlichen jedoch, dass die Forschung auf diesem besonders sensiblen Gebiet erheblich schneller voranschreitet als erwartet und damit zumindest in einigen Staaten Fakten geschaffen werden … Im Vergleich zu diesen [vorausgegangenen; Anm. Damian] Experimenten berichtete das amerikanisch-chinesisch-südkoreanische Wissenschaftlerkonsortium um den US-amerikanischen Stammzellforscher Shoukhrat Mitalipov nun allerdings von erheblich besseren Resultaten.
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Auch wenn die für die aktuelle Studie verwendeten Embryonen gezielt für dieses Experiment hergestellt worden sind, um die Machbarkeit des benutzten Verfahrens zu demonstrieren, und im Anschluss wieder vernichtet wurden, ist die Tragweite derartiger genetischer Manipulationen beim Menschen erheblich. [Da klingt Erleichterung durch, dass die „hergestellten“ Embryonen vernichtet wurden. Anm. Damian] Sie kann im Moment nur erahnt werden und entzieht sich der Vorhersagekraft wissenschaftlicher Untersuchungen. Mehr noch, erstmals in der Wissenschaftsgeschichte sollen medizinische Maßnahmen entwickelt und gegebenenfalls eingesetzt werden, die nicht allein einen einwilligungsfähigen erwachsenen Patienten oder – und schon dies ist ethisch umstritten – ein noch nicht einwilligungsfähiges geborenes oder ungeborenes Kind betreffen, sondern Generationen noch nicht gezeugter Nachkommen unbestimmter Zahl. [Hervorhebung durch mich]
über die Diskussion auf der Ebene der wissenschaftlichen Akademien in vergangenen Jahren:
Führende Forscher, auch solche, die sonst durchaus selbst die Grenzen der Forschung in andernorts verbotene Bereiche zu erweitern geneigt sind, sprachen sich für Zurückhaltung und Moratorien zur Anwendung von Genome-Editing an menschlichen Embryonen aus.
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Federführende Organisatoren [des ethischen Diskurses] waren bemerkenswerterweise die nationalen Wissenschaftsakademien jener Länder, in denen gegenwärtig und gewiss auch künftig der Einsatz von Genome-Editing in der embryonenverbrauchenden Forschung besonders intensiv betrieben wird: USA, Großbritannien und China.
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Die Risiken erschienen als noch langfristig unbeherrschbar und die Erfolgschancen demgegenüber als zu gering. Außerdem eröffnet die Präimplantationsdiagnostik in vielen Ländern eine – allerdings ihrerseits umstrittene – alternative Möglichkeit, die Weitergabe schwerer Erbkrankheiten im individuellen Fall [durch Abtreibung! Anm. Damian] zu verhindern.
über den plötzlichen Gesinnungswandel im Jahr 2017:
Vor diesem Hintergrund muteten die Empfehlungen erstaunlich an, die im Februar 2017 von einem gemeinsam von der US-amerikanischen National Academy of Sciences und der ebenfalls US-amerikanischen National Academy of Medicine einberufenen Komitee erarbeitet wurden. Sie enthielten unter anderem die These, Keimbahninterventionen seien in streng regulierten Risikogrenzen und verbunden mit begleitender Forschung zu solchen Risiken ethisch dann verantwortbar, wenn der Eingriff die „letzte vernünftige Möglichkeit“ für ein Paar sei, ein gesundes, biologisch eigenes Kind zu bekommen, so die CoVorsitzende des Gremiums Alta Charo. [Aha! Das Recht eines Paares auf ein gesundes, biologisch eigenes Kind wird höher gewertet als eine Gefährdung der Menschheit! Anm.] Der Report gibt eine subtile aber gleichwohl bedeutsame Veränderung in der Bewertung ethischer Verantwortbarkeit zu erkennen: Sie wechselt von einem „Nicht-Erlauben, solange die Risiken nicht geklärt sind“ zu einem „Erlauben, wenn die Risiken besser eingeschätzt werden können“.
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Offensichtlich wird nun weniger über das Ob als vielmehr nur noch über das Wann der Geburt des ersten per Genome-Editing genetisch veränderten Menschen spekuliert.
Über die gesamtgesellschaftliche Diskussion:
Es fällt auf, dass sich die Politik gegenüber der in fast allen Stellungnahmen – bis hin zum Washington-Summit – erhobenen Forderung nach breiten öffentlichen Debatten und erforderlichen Regulierungen national wie international zurückhält. … Möglicherweise gründet die zögerliche Einstellung der Politik zum Genome-Editing auch in einer Erfahrung aus dem Jahr 2003, als der Versuch scheiterte, das reproduktive Klonen in einer völkerrechtlich bindenden Konvention global zu ächten. … Im Gegensatz zum reproduktiven Klonen ist allerdings beim Genome-Editing durch die rasanten Entwicklungen der letzten zwei Jahre eine anwendungsnahe Situation entstanden, die hinsichtlich ihrer potenziellen Konsequenzen deutlich dringlicher erscheint.
… es stimmt zwar, dass der Mensch immer wieder und zunehmend intensiv, beschleunigend und irreversibel in das hochkomplexe Gefüge der Evolution eingreift. … Dennoch kommt dem Genom wegen seiner Prägekraft für das individuelle und kollektive Selbstverständnis des Menschen faktisch wie symbolisch eine besondere, wenn auch nicht exzeptionelle Rolle zu, sodass trotz all seiner Wandelbarkeit und Vielfalt seine Veränderung nicht einfach nach den gängigen Kategorien der Folgenverantwortung [also des Konzeptes des Konsequentialismus. Vgl. Prof. Robert Spaemann: „Seifert ist auch ein Kritiker der Theorie des Konsequentialismus, die der Papst selbst lehrt…“Anm. Damian] menschlicher Handlungen bewertet werden kann, sondern umfassendere Reflexionsprozesse voraussetzt.
Forderungen an Wissenschaft und Gesellschaft:
Deshalb hat sich die Wissenschaftsgemeinschaft ihrerseits um ergebnisoffene Gespräche mit allen relevanten Gruppen der gesellschaftlichen Öffentlichkeit zu bemühen. Parallel dazu können und müssen die politischen Institutionen Wege finden und Verfahren einleiten, um die zahlreichen noch offenen Fragen und möglichen Konsequenzen systematischer Genommanipulationen durch Genome-Editing intensiv, differenziert und vor allem weltweit zu erörtern und gebotene regulatorische Standards möglichst schnell und umfassend zu etablieren. Bevor also weiterhin Fakten geschaffen werden, deren Konsequenzen irgendwann irreversibel sein mögen, müssen…
Im Weiteren präzisieren die Empfehlungen des Deutschen Ethikrates, welche Fragen und Probleme im Einzelnen beantwortet und geklärt werden müssen.
Die Aussendung schließt mit der Feststellung
Dennoch [trotz zu erwartender Kontroversen] ist auch schon die Artikulation und Erörterung dieser Fragen von enormer Bedeutung für das kulturell plurale Selbstverständnis der Menschheit.
und der Forderung
Sie sollten … auf der ihrer globalen Bedeutung angemessenen Ebene in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit gerückt werden: der Ebene der politisch organisierten Weltgesellschaft in Gestalt der Vereinten Nationen. Hier sind unterschiedliche Formate denkbar: von einer großen internationalen Konferenz, die deutlich machen könnte, dass Genome-Editing zum Zwecke der therapeutisch motivierten Keimbahnveränderung eine Frage von grundsätzlich weltgesellschaftlicher und nicht nur wissenschaftlicher Bedeutung ist, über die Festlegung von global verbindlichen Sicherheitsstandards bis hin zu möglichen Resolutionen oder völkerrechtlichen Konventionen.
Die Zitate wurden am 4.10.2017 entnommen der Veröffentlichung auf der Webseite ethikrat.org.
Dem deutschen Ethikrat ist zu danken für diesen Versuch, die öffentliche Diskussion anzuregen. Meine ursprünglich geplante Überschrift Deutscher Ethikrat mahnt dringend zu globaler Regulierung von Keimbahneingriffen musste ich jedoch nach sorgfältiger Lektüre revidieren. So weit lehnt sich der deutsche Ethikrat nicht aus dem Fenster. Er mahnt nur dringend zu globaler Diskussion, damit es vielleicht unter Umständen, wenn alle einverstanden sind, auch zu einer Regulierung käme …
Immerhin Diskussion.
Nicht wie bei Merkels handstreichartiger Abschaffung der staatlichen Privilegierung der (zweigeschlechtlichen) Ehe.