[Beitrag zuletzt ergänzt 3.00 Uhr]
Lieber Bastian,
in den ersten 4 Absätzen deines Artikels bin ich mit dir einig (darf ich bloggermäßig du sagen?). Besonders Absatz 1 fand ich wichtig, nämlich den Versuch, zwischen einer hypothetischen Nebenwirkung und einer systematischen zu unterscheiden, wobei ich es immer noch schwierig finde, zwischen beiden zu unterscheiden. Kann man bei einer jährlich vierstelligen Zahl von Todesopfern im Straßenverkehr noch von einer hypothetischen Nebenwirkung sprechen? Jeder, der sich hinter ein Lenkrad setzt, muss sich im Klaren darüber sein, dass er eine tödliche Waffe bedient. Und es fällt unter das 5. Gebot, sich um ein angemessenes Verhalten am Lenkrad zu bemühen, sich über seine Fahrtüchtigkeit Rechenschaft abzulegen und das Fahrzeug verkehrstüchtig zu halten. Es reicht eben nicht aus, beim Anlassen des Motors lediglich nicht die Absicht zu haben, niemanden zu töten. Und es reicht eben nicht aus, dass ein Pkw die hauptsächliche Wirkung eines Fortbewegungsmittels besitzt und nicht, wie eben flapsig ausgedrückt, die einer Waffe.
Dem letzten Absatz möchte ich darüber hinaus entschieden widersprechen – erstens hinsichtlich deines Vertrauens in das Gewissen der Ärzte, das es wohl schon richten werde, und zweitens hinsichtlich deines Versuches, Prinzipien gegen „Wahrheit in Liebe“ zu setzen.
1. In der Stellungnahme des Notrufs für vergewaltigte Frauen Köln erfährt man, dass bis zu der eigenmächtigen Aktion des Oberarztes dort niemand etwas davon mitbekommen hat, dass an katholischen Krankenhäusern die Pille-danach nicht (!) verschrieben wird. Und wenn man irgendwo etwas von einer Nichtverschreibungspraxis der Pille-danach an vergewaltigte Frauen in Köln hätte wissen können, dann doch beim Notruf für vergewaltigte Frauen. Daraus schließe ich, dass es in Köln seit Jahren keine Nichtverschreibung der bisher aus katholischer Sicht als frühabtreibend geltenden Pille-danach gegeben hat. Gestützt wird dieser Hinweis durch die Bekenntnisse katholischer Klinikleitungen aus Bad Mergentheim und München, wie ich sie in meinem Beitrag vom 19.2. verlinkt hatte. Das einzige der vier katholischen Krankenhäuser von München, das eine Notfallgynäkologie unterhält, erlaubt seinen Ärzten die Verordnung der Pille-danach – und das nicht nur bei Vergewaltigungen. Aus den Worten des Chefarztes lässt sich sogar eine Erwartung an seine Assistenten zur Verschreibung ablesen:
Dass einer der Ärzte wegen falsch verstandener Moralvorstellungen einer Patientin nicht hilft, das kann ich ausschließen.
Ein Assistenzarzt, der seinem durch Dignitas personae (nicht Dignitatis personae, wie in der Erklärung der Pressestelle zitiert) gebildeten Gewissen verpflichtet wäre, stände hier auf verlorenem Posten. Da wäre die italienische Rechtslage, nach der ein Arzt das Recht besitzt, aus Gewissensgründen die Verordnung zu verweigern, ein Fortschritt gegenüber der Praxis an katholischen Krankenhäusern in Deutschland. Die oben zitierte Aussage des Chefarztes – auf die Verhältnisse in deutschen katholischen Kliniken verallgemeinert – bedeutet, dass es für einen Jungmediziner mit katholischen Moralvorstellungen in Deutschland nicht mehr möglich ist, Frauenarzt zu werden. Auf diese Weise wird derzeit ein ganzer Berufsstand vom katholischen Glauben gesäubert.
In medizinischen Fragestellungen darfst du gern den Ärzten mehr oder weniger blind vertrauen, nicht aber in moralischen. Gerade heute habe ich die Aussage einer Ärztin gehört, das Wesen im menschlichen Mutterleib sei erst ab 3 Monaten ein Mensch. Schließlich sei es ja in Deutschland wie allen möglichen Staaten erlaubt (!), dieses Wesen bis zu diesem Zeitpunkt zu töten.
2. Ein Verzicht auf katholische Prinzipien an katholischen Krankenhäusern würde bedeuten, nach der katholischen Sittenlehre handelnden Menschen in katholischen Krankenhäusern die letzte Rückendeckung zu nehmen. Die Tatsache, dass es möglich ist, Falsches zu tun, kann doch nicht heißen, das man es unterlassen dürfte, das Falsche in seinem Verantwortungsbereich zu unterbinden. Um deine Worte zu gebrauchen: man darf von der Kirche erwarten, dass ein Angriff auf das Leben eines gerade vom Schöpfer ins Leben gerufenen Menschen abgewehrt wird, auch wenn jemand Prinzipien hat, nach denen es höhere Werte gibt. Kann man es die „Wahrheit der Liebe“ nennen, wenn man die Entscheidung dem „Gewissen“ eines Angestellten überlässt, ob er unter Erwartungs- und Handlungsdruck einer verzweifelten Mutter hilft, ihr Kind im Mutterleib zu töten? Wie kannst du demjenigen dagegen, der sich die Lehre der Kirche zum Prinzip macht, die „Wahrheit in Liebe“ absprechen? Wie kannst du dem, der es nicht für eine Lösung hält, erlittenem Unrecht weiteres hinzuzufügen, die „Wahrheit in Liebe“ absprechen und ihn sinngemäß als Prinzipienreiter deklarieren? Sollte ich deine Verwendung des Begriffes Prinzipien missverstanden haben, kläre mich bitte auf.
Zusammenfassung
In meinem ersten Beitrag zum Thema vom 8.2. hatte ich gewisse Bauchschmerzen mit der Nebenwirkungsthese, hielt sie aber für unumgänglich. Auf die Überlassung der Entscheidung in die Hand des jeweils handelnden Arztes bin ich nicht näher eingegangen. Nach eingehender Untersuchung bin ich aber inzwischen zu folgendem Ergebnis gekommen:
- Die Nebenwirkungsthese ist aufgrund der physiologischen Fakten nicht anwendbar. Es gibt keine gleichzeitig wirkende Haupt- und Nebenwirkung, sondern 2 einander ausschließende Wirkungen, die je nach Zeitpunkt der Anwendung auftreten. Auf das Autofahren übertragen: Fahre ich bei Grün oder fahre ich bei Rot?
- Eine dermaßen schwerwiegende ethische Entscheidung kann nicht dem behandelnden Arzt angesichts eines unmittelbaren Handlungsdrucks aufgebürdet werden. Dieser kann in dieser Situation nicht von Fall zu Fall erst die wissenschaftliche Literatur studieren. Da es in der Naturwissenschaft eben nicht beliebig viele subjektive Wahrheiten geben kann, kann man die Entscheidung nicht einfach der wissenschaftlichen Einschätzung „des“ Arztes zu überlassen, insbesondere wenn man nicht dafür sorgt, dass ihm auch andere wissenschaftliche Positionen als die der Abtreibungslobby zu Ohren kommen. Es gilt, von katholischen Bioethikern Richtlinien erarbeiten zu lassen, die ggfs. von Zeit zu Zeit dem Stand der Wissenschaft angepasst werden, nicht aber zufällig gerade dann, wenn Gesundheitsminister mit der Streichung von Geldern drohen. Auch der Begriff der „Therapiefreiheit“ darf hier nicht missbraucht werden. Man muss sich im Klaren darüber sein, dass es aufgrund der faktischen Selektion schon heute schwer sein dürfte, Frauenärzte zu finden, die die moraltheologische Position der katholischen Kirche in Theorie und Praxis vollumfänglich teilen.
- Die Deutsche Bischofskonferenz sah sich angesichts der widersprechenden wissenschaftlichen Lehrmeinungen außerstande, unmittelbar von der subjektiven Beurteilung durch den Arzt abzurücken, hat aber erfreulicherweise erkennen lassen, dass sie nach gründlicher Prüfung zu einer objektiven Bewertung der Methoden zurückkehren möchte.